Wie ein Ermöglichungs-Didakt eine Weiterbildungseinrichtung umkrempelt
Wie es dazu kam
Dirk versorgt mich immer wieder mit interessanten Filmen über das Thema Lernen. Vor Kurzem machte er mich auf einen Beitrag aufmerksam, in dem es um einen Professor Rolf Arnold geht, der einer Weiterbildungs-Einrichtung in Österreich geholfen hatte, ein neues Lernkonzept zu etablieren.
Das klang spannend, denn auch ich möchte in meiner Arbeit in der Erwachsenenbildung mehr als den Standard, die alten, an der Schule angelehnten Methoden des Unterrichts. Allerdings gibt es viele gute Theorien, die in der Praxis nicht umsetzbar sind. Viele Dozenten wissen, dass sie es anders machen müssten. Aber es scheitert an der Umsetzung.
Wenn dieses Konzept aber umgesetzt wurde, scheint es in diesem Fall anders zu sein. Das sollte ich mir also einmal ansehen.
Von diesem österreichischen Weiterbildungsträger, WIFI, hatte ich auch irgendwo schon einmal im Zusammenhang mit innovativen Lehr- und Lernideen gehört. Dennoch sah es zu Beginn gar nicht so spannend aus: Selbstgesteuertes Lernen. Lebendiges Lernen. Nachhaltiges Lernen. Floskeln, Begriffe, die man immer wieder im Zusammenhang Weiterbildung hört.
Aber als ich weiter schaute, zog mich der Film doch noch in seinen Bann. Denn Arnold stülpt anscheinend nicht einfach allen – Bildungsträger, Dozenten, Teilnehmern – ein neues System über, sondern arbeitet mit dem, was da ist; vor allem bei den Dozenten. Und diese scheinen mit zu ziehen. Auch nicht gerade das, was man erwartet.
Aber alles der Reihe nach.
Wer ist denn eigentlich Professor Arnold?
Prof. Dr. Rolf Arnold, Jahrgang 1952, ist Professor für Pädagogik an der TU Kaiserslautern.
Nach dem Studium der Pädagogik (Erwachsenen- und Berufspädagogik) promovierte er an der Universität Heidelberg. Er arbeitete vier Jahre in einer internationalen Erwachsenenbildungseinrichtung und habilitierte 1985 im Fachbereich Kultur- und Sozialwissenschaften der Fernuni Hagen. 1990 wurde er an die TU Kaiserlautern berufen.
Von 1992 bis 2006 leitete er das Zentrum für Fernstudien und Universitäre Weiterbildung (ZFUW), das 2007 im Distance and Independent Studies Center (DISC) aufging, dessen Wissenschaftlicher Direktor und Aufsichtsratsvorsitzender er seitdem ist.
Darüber hinaus war er bis 2009 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Fortbildung und Beratung (IFB) in Speyer und bis 2011 Verwaltungsratsvorsitzender des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) in Bonn.
Er gilt als Begründer der Ermöglichungsdidaktik und des Emotionalen Konstruktivismus.
S. hierzu auch
- Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Rolf_Arnold)
- Personenbeschreibung der TU Kaiserslautern (https://www.sowi.uni-kl.de/paedagogik/mitarbeiter/arnold/)
Dies alles klingt zunächst nicht besonders spannend. Er geht – für einen Wissenschaftler nicht weiter verwunderlich – mit fundierten, wissenschaftlichen Erkenntnissen an das Thema Erwachsenenbildung heran. Wenn man ihm aber zuhört, spürt man seine Begeisterung, erkennt in ihm jemanden, der nicht nur theoretisch verstehen, sondern in der Praxis etwas bewegen will. Eine gute Kombination. Und meines Erachtens schafft er diese Verbindung auch.
Nun aber zu LENA
Das Projekt, auf das Dirk mich aufmerksam machte, ist die Einführung von „LENA“ bei der österreichischen Weiterbildungseinrichtung WIFI. Das Akronym „LENA“ steht für Lebendiges und nachhaltiges Lernen.
Unter „WIFI Lernmodell LENA“ findet man in YouTube einige Beiträge, vor allem über das WIFI-Trainerforum 2009, an dem Professor Arnold dieses neue Modelll vorstellte.
Leider wird in diesen Beiträgen nicht genau dargestellt, wie dieses System aufgebaut ist, wie es funktioniert. Vermutlich ist es auch nicht wirklich ein System, ein genauer Leitfaden, sondern eher eine Grundhaltung der Dozenten. Aber auch, wenn das System nicht als solches dargestellt wird, erfährt man doch genug über seine Wirkung.
Der Punkt, der mich überzeugte war, dass Arnold „mit dem arbeitet, was da ist“. Er erklärt also nicht den Dozenten, dass sie bisher alles falsch gemacht haben und alles neu machen müssen. Im Gegenteil, er will die Fähigkeiten, die Erfahrung und das Wissen der Trainer integrieren.
Es gibt andere Lernsysteme, die in diesem Punkt völlig anders aufgestellt sind. In der Regel geben sie einen starren Rahmen vor, in den sich der Dozent einzufügen hat. Es werden ihm Verhaltensregeln vorgegeben, er muss nach einem festen Schema seinen Unterricht aufbauen, damit das System greift. Lernen ist jedoch ein hoch individueller Prozess. Und das gilt für mich nicht nur für den Lernenden, sondern auch für den Trainer oder Dozenten. Und starre Vorgaben, so gut sie auch gemeint sein mögen, töten diesen individuellen Prozess.
Für Arnold steht der Teilnehmer mit seiner Individualität, aber auch seiner bereits vorhandenen Selbstlernfähigkeit im Mittelpunkt. Sein Lernerfolg ist wichtig. Und Trainer und Organisation, die Weiterbildungseinrichtung, sollen dieser Individualität Rechnung tragen.
Dass der Teilnehmer, der Kunde, im Mittelpunkt steht, behaupten viele. Aber ist dies tatsächlich so? Meines Erachtens steht klassischerweise in Wahrheit der Dozent im Mittelpunkt, denn er ist es ja, der im Besitz des Wissens ist, das er an die Schüler, Studenten, Teilnehmer verteilt.
Rückt man nun den Teilnehmer wirklich in den Mittelpunkt, verliert der „Lehrende“ diese besondere Rolle, er wird degradiert zum Begleiter des Lernprozesses, also jemandem der am Rande steht und nur schmückendes Beiwerk ist.
Ich weiß, ich überspitze hier. Es gibt auch sehr viele gute Lehrer und Dozenten, die bereits jetzt ihre Rolle als Unterstützer für den Lernenden verstehen und ihren Unterricht danach auszurichten versuchen. Es gibt jedoch auch viele, die mit dieser „neuen Aufgabe“ erst einmal klarkommen müssen.
Für sie verschiebt sich damit ihre Sicht auf die Welt. Sie scheinen Macht zu verlieren, verlassen eine sichere Position und müssen sich auf unbekanntes Terrain begeben. Aber genau das ist ja Lernen: Erforschen unbekannten Landes. Und kann es Spannenderes geben, als derjenige zu sein, der die neuen Besucher dieses Landes begleitet, ihnen zur Seite steht, vielleicht sogar das Staunen in den Gesichtern zu sehen und im besten Falle selbst Neues zu entdecken, oder Bekanntes auf eine neue Art wiederzuentdecken?
So betrachtet, ist der Trainer mehr als ein einfacher Begleiter. Er ist Facilitator, Ermöglicher. Er trägt dazu bei, dass ein anderer lernen kann. Wenn Lehrer und Dozenten diese Position einnehmen, werden alle am Lernen Beteiligten gewinnen.
Wenn dies doch so toll ist und viele dies auch erkennen, weshalb unterrichten viele dennoch so, wie sie es eben tun? Klassisch? Weil sie es so gelernt haben. Weil sie selbst bereits so unterrichtet wurden. Dies belegen auch Studien. Das Schlimme dabei ist nur, dass diese Form nicht nur nicht gut funktioniert. Im Gegenteil, sie kann sich sogar schädlich auswirken.
Arnold sagt: „Wer zu viel lehrt, behindert Lernen! […] Denn man kann Wissen nicht vermitteln. Man kann eine Wohnung vermitteln. Man kann eine Ehe vermitteln. Aber keine Inhalte. Reine Wissensdistribution funktioniert nicht.“ Es geht nicht darum, Wissen zu verteilen, sondern darum, den Lernenden zum Lernen anzuleiten.
Dies ist für einen Dozenten natürlich wesentlich schwieriger als das reine Dozieren, Unterrichten. Denn es erfordert eine hohe Flexibilität. Ich kann als Dozent nicht mehr einem exakt vordefinierten Lehrplan folgen, sondern ich muss mich auf die Situation einstellen, die vorhanden ist. Was interessiert meinen Lernenden? Wo steht er gerade? Was ist schon an Wissen vorhanden? Und: Wie motiviert ist er gerade? Was motiviert ihn?
Genau genommen kann man niemanden motivieren. Jedoch kann man die vorhandene Motivation in jemandem erkennen, wenn man danach Ausschau hält. Wenn man das als Lehrer akzeptiert, gestaltet man seinen ganzen Unterricht natürlich völlig anders.
Diese Form stellt für alle Beteiligten eine Herausforderung dar. Nicht nur für den Dozenten. Auch für die Teilnehmer. Denn auch diese haben sich in dem bisherigen System eingerichtet und erwarten, dass Unterricht so abläuft wie in der Schule, sie ihren Teil an Wissen zugeteilt bekommen. Es wird von einem Kopf in einen anderen transferiert. Schön einfach. Und dass dies bisher noch nie funktioniert hat, man dies aus der eigenen Erfahrung weiß, spielt dabei keine Rolle. So ist Unterricht eben.
Der Lernende muss raus aus dieser Konsumhaltung. Lernen ist eine unternehmerische Fähigkeit, muss unternommen werden. Jeder Teilnehmer sollte lernen, wie er selbst am Besten lernt. Das ist Arbeit. Aber eine Arbeit, die sich lohnt.
Zu guter Letzt müssen sich auch die Organisationen umstellen. Denn wenn Trainer so agieren, wie oben beschrieben, und auch die Teilnehmer mitziehen, funktioniert vieles nicht mehr so, wie es bisher funktionierte. Der Lehrplan kann nicht mehr so starr eingehalten werden. Die Reihenfolge des Stoffs entsteht eher aus der Situation heraus, als dass sie genau vorher festgelegt werden kann. Auch der Umfang der Unterrichtsstunden ist flexibler.
Somit wird der Unterricht etwas, das noch individueller und intimer zwischen Trainer und Lernendem geschieht. Der Bildungsträger steht noch mehr außen vor als bisher. Der Unterricht wird noch mehr zur Black Box. Und dadurch muss er seinen Trainern noch mehr Vertrauen entgegen bringen. Er muss sich darauf verlassen können, dass sie alle Inhalte bearbeiten, die relvant, vielleicht für eine Prüfung wichtig sind.
Aber der Bildungsträger kann unterstützen, indem er bessere Rahmenbedingungen schafft. Dies ist unter Umständen teurer und schwierig zu organisieren. Klassen, oder soll man hier besser von Lerngruppen sprechen, werden tendenziell kleiner, damit der Trainer die unterschiedlichen Individualitäten besser berücksichtigen kann.
Und Lernmaterial und Umgebung werden anspruchsvoller. Denn wie man lernt ist genauso wichtig wie was man lernt. Es ist klar, dass man in einer angenehmen, entspannten Umgebung besser lernen kann, als in einer sterilen und kalten Umgebung. Nur so kann beim Lernen auch die nötige Leichtigkeit entstehen. Die Lernumgebung bekommt Wellness-Charakter.
„Ein System (Teilnehmer) soll sich nicht bedroht, sondern aufgehoben fühlen. Systeme verschließen sich vor Gewalt. In einer fremden Umgebung stärkt ein System seine Eigendynamik. Es macht zu, nimmt nichts auf. Emotionen sind ein wichtiger Schlüssel zum Lernerfolg.“ (Arnold)
Wie gesagt: Eine Herausforderung für Bildungsträger, die diese Methode einsetzen wollen.
Dass unsere bestehenden Systeme nicht gut funktionieren, wissen wir. Wir benötigen Alternativen. Und LENA klingt nach einem guten Ansatz. Trotz aller Schwierigkeiten sollten wir ihn ausprobieren.
Thesen, wie die von Arnold, wurden schon vielfach aufgestellt. Die Kritik daran ist, dass man in öffentlichen Einrichtungen Lehrpläne, Rahmenpläne zu vermitteln hat. Dass der Teilnehmer sich nicht einfach aussuchen kann, was er lernen möchte, sondern auf eine Prüfung vorbereitet wird.
Aber auch die Wirtschaft hat ihre Wünsche: Unternehmen müssen unternehmerisch denkende Mitarbeiter zugeführt werden. Aber gerade deshalb finde ich das Projekt LENA bei den WIFIs so spannend. Es scheint Arnold hier gelungen zu sein, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Das WIFI ist eine Erwachsenenbildungseinrichtung, das auf Abschlüsse vorbereitet. Und dennoch ist es auf diesem Weg der Transformation, scheint ihn zu schaffen.
Ich bin gespannt.
Hier findet sich ein ganz interessantes Interview, das einige von Arnolds Ansichten und Thesen kurz darstellt. Interessantes PDF:
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