Montag, 9.3.15, 13:30 Uhr, Friedrich-Alexander-Universität in Nürnberg. Gebäude der Wirtschaftswissenschaft. Im Gang vor Hörsaal 1.
Es ist ziemlich still. Nachmittags, kurz
vor zwei ist nicht gerade der große Run auf Vorlesungen. Einige leicht ängstlich dreinblickende Menschen drücken sich auf dem Gang vor dem Hörsaal herum. Einige starren vor sich hin. Einige schauen noch einmal in die Unterlagen der Fernuni Hagen.
Auch ich bin da. Ich gehöre eher zu den Starrern. Meine Unterlagen habe ich gar nicht erst dabei. Die werden mir jetzt in der Prüfung auch nichts mehr nützen. Lässige Angespanntheit. Ich mache mir nicht viel Hoffnung, die Prüfung schaffen zu können. Ich hatte mich bewusst dafür entschieden, vor allem auf die Klausur aus Modul 1A zu lernen. Und die lief in der vorangegangenen Woche ganz gut. 1B hatte ich in den Wind geschrieben. Lieber eine sicher schaffen, als dann beide zu verhauen.
Die Metalltür geht auf. Wir dürfen rein. Ein relativ kleiner Hörsaal. Platz für 200 bis 300 Studenten? Ich bin schlecht darin, so etwas abzuschätzen. Wie im Kino die Sitzplätze treppenförmig angeordnet. Wie auch schon in der Woche zuvor freie Platzwahl. Zumindest für alle Nicht-Psychologen. Den Psychologen sind die Plätze mittels roter Zettel zugewiesen. Auch diesmal stellen die Psychologen die deutliche Mehrzahl der Prüflinge.
Auch diesmal wieder unbequeme, gelb lackierte Holzklappsitze und Holzklapptischchen. Egal. Es ist für maximal vier Stunden. Ich suche mir einen Platz mittig, rechts außen. Dann kann man auch mal auf die Toilette, ohne fünf Leute aufscheuchen zu müssen.
Ich richte mich häuslich ein. Wasserflasche. Bananen. Studentenfutter. Schreibzeug. Dann hole ich mir unten bei der Prüfungsaufsicht meine Unterlagen, einen beigen C4-Umschlag mit orangem Streifen, und begebe mich zurück auf meinen Platz. Da ich nichts zu verlieren habe und auch nicht glaube, gewinnen zu können, bin ich ruhig.
Schlusspunkt des Semesters
Dies ist der Schlusspunkt meines ersten Semesters. Es lief ganz anders ab, als ich das erwartet hatte. Viel zu lange hatte ich gebraucht, bis ich endlich meinen Rhythmus gefunden hatte, bis ich wusste, wie ich das Ganze angehen soll. So ein geisteswissenschaftliches Studium ist etwas anderes als ein Design-Studium und noch einmal ganz anders als ein naturwissenschaftliches Studium.
Der erste Knackpunkt war das Verstehen der Texte. Teilweise sind diese in einer schrecklichen Sprache verfasst: Hauptsatz, zig Nebensätze, Einschubsätze, Fußnoten, Verweise. Man weiß am Ende des Satzes nicht mehr, was am Anfang stand. Und dann ständig – größtenteils völlig überflüssige – Fremdwörter. Wissenschaftssprache ist ja in Ordnung, teilweise ist sie sicher auch nötig, um möglichst eindeutig und präzise zu beschreiben. Aber vielfach ist es meines Erachtens einfach das Unvermögen der Autoren, sich klar auszudrücken. Aber egal. So sind nun einmal die Texte. Und die gilt es zu lesen und möglichst zu verstehen.
Für mich fand ich dann ein zweistufiges System: Ich sprach erst alle Skripte komplett als Hörbücher ein. Danach begann ich, die Inhalte herauszuarbeiten, bei den ersten Kapiteln als Mindmaps, später als Sketchnotes; mal mit mehr grafischen Umsetzungen, mal mit weniger.
So verrückt oder übertrieben es auch klingt, nicht nur Zusammenfassungen, sondern die kompletten Skripte zu vertonen, mir hat es extrem geholfen. Beim stillen Lesen schweiften meine Gedanken immer wieder ab. Ich konnte mich teilweise kaum aufraffen, einen Text durchzulesen. Anders beim Lautlesen. Hier wurde das Lesen zu einem mechanischen Vorgang. Und ich hatte danach etwas quasi Anfassbares in Händen, nämlich eine Audiodatei. Und anhand derer konnte ich genau meinen Fortschritt sichtbar machen. Ein weiterer positiver Effekt war, dass ich diese Audiobooks dann außerhalb meiner offiziellen Lernzeit anhören konnte: Beim Sport, bei längeren Autofahrten. Keine besonders intensive Beschäftigung mit dem Stoff, aber doch immer wieder ein bisschen.
Der zweite Schritt, das Umsetzen in Mindmaps oder Sketchnotes war dann wichtig für das Verständnis. Ich stellte es auch immer wieder beim Anhören der Audiobooks fest. Hatte ich ein Kapitel „grafisch“ umgesetzt, hatte ich den Inhalt verstanden, konnte ich dem Hörbuch viel besser folgen. Es hatte dann nochmal einen sehr hohen Lerneffekt.
Zentrale Passagen, Übersichten, tabellarische Aufstellungen, Definitionen zog ich mir dann immer wieder heraus und schrieb/zeichnete sie auf DIN-A5-große Zettel, die ich überall in der Wohnung aufhängte. Jedes Mal, wenn ich an einem solchen Zettel vorbeikam, schaute ich darauf. So konnte ich im Vorbeigehen einiges mitnehmen, vertiefen, wiederholen.
Diese Lerntechniken waren mir alle schon bekannt. Die Reihenfolge war für mich das Entscheidende. Am Anfang des Semesters schaffte ich es einfach nicht, mich regelmäßig hinzusetzen und zu lernen. Das war der wesentliche Punkt. Ich musste eine Möglichkeit finden, mich regelmäßig hinzusetzen. Und da half mir eben das Hörbucheinsprechen. Das laut Sprechen war deutlich angenehmer als das leise Lesen. Es machte mir dann irgendwann richtig Spaß. Und das ist das entscheidende. Irgendwie muss man es erreichen, dass einem das Lernen, oder ein Teilaspekt davon Spaß macht. Denn dann setzt man sich regelmäßig hin und es es nicht nur eine Qual, man muss sich nicht selbst dahin prügeln. Aber genau dieses „den Spaßfaktor rauskitzeln“ hat einige Zeit bei mir gedauert.
Planung
Weiter war wichtig, eine solide Planung zu machen. Auch das lernte ich im Laufe des Semesters. Anfangs nahm ich mir zu viel vor. Und das Nicht-Schaffen demotivierte mich, so dass ich dann noch weniger schaffte.
Außerdem half es mir, möglichst konkret in der Planung zu sein. „Zehn Seiten“ ist einfach nicht so griffig wie „Teilkapitel 2.1 über Bourdieus“. Auch schrieb ich gegen Ende nicht nur auf, wie viel ich schon geschafft hatte, sondern wie viel ich noch vor mir habe. Gerade als dann die Hälfte überschritten war, hat das unheimlich motiviert. Auch hier war wieder das Sichtbarmachen des Fortschritts wichtig. Ich wollte möglichst viele grüne Haken und möglichst wenig rote Kreuze in meinen Checklisten.
Der nächste Aspekt war dann das gemeinsam Lernen. Ich wollte das gern schon während des Semesters, aber das hat nie geklappt. In der Klausurphase fand ich dann endlich Anschluss. Die Treffen liefen über Skype. Anfangs war ich etwas skeptisch, aber das klappte wirklich super. Kann ich nur empfehlen. Wir trafen uns ein-, zweimal pro Woche ein, zwei Stunden, sprachen ein konkretes Kapitel durch. Später teilten wir es uns auf und jeder stellte dem anderen ein Kapitel vor, das er vorbereitet hatte. Ich weiß, auch das ist absolut nichts Neues. Aber es einfach zu tun half. Hier kommt der soziale Aspekt zum tragen. Man verpflichtet sich jemand anderem und überwindet den inneren Schweinehund.
Ich hatte Glück. Meine Lernpartnerin und ich waren auf einem ähnlichen Niveau; außerdem hat es auch von der Chemie gestimmt. Es machte Spaß. Zwei Faktoren, die man nicht unterschätzen sollte. Zum einen glaube ich, dass die Zweiergruppe eine viel bessere Variante als eine größere Gruppe ist. Zum anderen ist die Sache mit dem Niveau unheimlich wichtig. Wir haben uns gegenseitig unterstützt und nicht dem anderen demonstriert wie toll wir sind und wie schlecht der andere ist.
YouTube
Ein weiterer Faktor war noch YouTube. Auch das keine neue Erkenntnis. Aber auch hier: Man muss es einfach tun. Es gibt auf YouTube fast alles. Zu den allermeisten Kapiteln im Skript fand ich etwas. Klar sind die Videos nicht erschöpfend. Aber mehr als ein Mal haben sie mir den Einstieg in ein Thema gebracht oder auf ganz einfache Weise erklärt, was im Skript unnötig kompliziert stand.
Zu guter Letzt Stichwort Lernjournal. Ich begann, in einer geschlossenen Gruppe ein Lernjournal zu führen, also aufzuschreiben, was ich für den einzelnen Tag geplant hatte und was tatsächlich passierte. Dies hat zweierlei Effekt: Zum einen musste ich recht genau planen, was ich vorhatte zu lernen. Zum anderen war dort dann zu lesen, was ich tatsächlich gemacht hatte. Allein das hilft schon, den Überblick zu bewahren und zu sehen, wie gut man vorankommt, wo die Schwierigkeiten liegen. Allerdings darf man auch den sozialen Aspekt nicht vergessen. Man hält das nicht für sich allein fest, sondern auch andere schauen darauf, geben unterstützende oder auch mal kritische Kommentare.
Alles in allem fand ich – wenn auch sehr spät – meinen Rhythmus und ich fiebere schon richtig dem neuen Semester entgegen. Jetzt weiß ich, wie es (für mich) geht und ich werde es vom ersten Tag an einsetzen.
Die Klausur beginnt. Ich lese mir einige der Fragen durch und bin erstaunt, auf wie viele mir sofort etwas einfällt. Sollte ich vielleicht doch eine Chance haben? Keine Frage, zu der mir nicht wenigstens ein bisschen was einfällt. Erstaunlich.
Jetzt, drei Wochen später warte ich auf die Ergebnisse, warte auch auf die neuen Skripte. Habe ich beide Klausuren geschafft? Nur eine? Welche Noten werde ich haben. Wir werden sehen. So oder so. Das nächste Semester beginnt und ich bin guter Dinge, es diesmal besser zu machen.
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