Ende April kam die neue Jugenstudie 2024 heraus. Sie gibt einen Überblick, wie es gerade um die junge Generation steht. Und dabei gaben die 2000 Befragten zwischen 14 und 29 Jahren teils erstaunliche, teils erschreckende Antworten. Wir schildern hier unsere ganz subjektiven Eindrücke über die Ergebnisse der Studie.
Psychischer Stress auch nach Corona nicht gesunken
Aus der Sicht der Studienleitung herrsche unter den jungen Menschen immer noch der gleiche große psychische Druck wie zur Zeiten der Corona-Pandemie. Ganze 51 % der Befragten gaben an, regelmäßig Stress zu verspüren, 5 % mehr als letztes Jahr. 1
Hendrik: Von meinen Freund*innen und Mitschüler*innen in der Klasse weiß ich, wie viel Druck gerade in der Schule entsteht. Das ständige Bewerten und Sich-Vergleichen mit anderen sorgt dafür, dass Schule oft kein Ort voller Inspiration ist, sondern geprägt ist von Stress und Demotivation. Das macht viel aus im Leben von Jugendlichen und hört auch oft in Uni oder Ausbildung nicht auf. Gleichzeitig ist die Schule der Ort, an dem psychische Probleme sehr gut abgefangen werden können. Wo sonst kommen alle Kinder und Jugendliche fünf Mal in der Woche zusammen? Gerade deswegen müssen aus diesen Ergebnissen, die nicht gerade neue Erkenntnisse aufwerfen, neue politische Entscheidungen folgen. Es braucht eine Verstärkung der Schulsozialarbeit, eine ausreichende Versorgung mit Schulpsycholog*innen und auch geeignete Rückzugsorte aus dem Dauerfeuer Schule.
Peps: Als Vater eines 21-jährigen Sohnes bin nicht ganz auf dem aktuellen Stand zur Situation in der Regelschule. Mein Sohn hat 2020 die Schule abgeschlossen und ist mit seinem Abitur voll in die Coronazeit gefallen. Zur Zeit macht er eine Ausbildung und besucht die Berufsschule. Von daher fällt es mir schwer, die, aktuelle Entwicklung zu beurteilen. Aber zumindest kann ich etwas dazu sagen, wie ich es in seiner Schullaufbahn erlebt habe. Für ihn war das Schulsystem nicht ideal. Er ist ein junger Mensch, der sich Gedanken über seine Umwelt macht und für den Sinn sehr wichtig ist. Und vieles, was in der Schule angeboten wird, machte für ihn keinen Sinn. Also bemühte er sich in diesen Fächern nicht sonderlich. Die ganze Systematik mit der Notenvergabe und der so genannten Leistungsmessung hat ihn, so glaube ich zumindest, nicht sehr gestresst. Es war ihm relativ egal. Aber es hat ihm eben auch nicht motiviert. Was bei ihm Druck ausgelöst hat, war höchstens die Verkürzung auf die acht Gymnasien-Jahre. Die Schüler*innen dieser Jahrgänge hatten den gleichen Stoff in einem Jahr weniger zu schaffen.
Immer mehr Zukunftsängste bei Jugendlichen
Angesichts von Klimawandel, Krieg in Europa, globaler Armut und Inflation wirkt sich die aktuelle politische Lage negativ auf die mentale Gesundheit der jungen Menschen aus. Als Folge verspüren immer mehr Menschen Ängste und Sorgen, wenn sie in die Zukunft blicken.
Hendrik: Wir leben in einer Zeit von multiplen Krisen, die den gesamten Planeten betreffen – und dabei besonders die jüngere Generation. Da ist es ganz natürlich, dass Sorgen entstehen, die von Eltern und Pädagog*innen aufgefangen werden müssen. Ich frage mich, Peps – wie blickte man zu deiner Jugend auf die Weltlage?
Peps: Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der alles aufwärts ging. Meine Eltern hatten den Krieg erlebt, aber auch das Wirtschaftswunder. Sie buken, wie man so schön sagt, anfangs ziemlich kleine Brötchen. Aber, wenn man sich anstrengte, dann kam man auch voran. Selbst, wenn man nicht reich wurde, konnte man gut leben. Und, wie schon gesagt, die Zeichen standen auf Wachstum, auf Verbesserung. Krieg war nicht wirklich ein Thema hier in Europa. Zwar herrschte in meiner Jugend noch der Kalte Krieg zwischen Westen und Osten, aber irgendwie erschien der nicht so bedrohlich, er war eher abstrakt, etwas, das Platz in James-Bond-Filmen hatte, aber nicht wirklich das eigene Leben beeinflusste. Und selbst das veränderte sich mit dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Der erste Krieg, der relativ nah war und der mich erschütterte war der im damaligen Jugoslawien. Aber selbst das war deutlich anders als die Situation heute.
Hendrik: In der Schule beschäftigt man sich maßgeblich mit der Zukunft, nicht zuletzt mit der eigenen. Am Ende ist es doch das Ziel, mit einem Berufswunsch, einer klaren Vision für sein Leben und einem Abschluss rauszugehen. Aktuell wird das bei der Mehrheit der Schüler*innen aber nicht erreicht. Wenn wir die Ergebnisse der Jugendstudie ernst nehmen wollen, sollten wir auch hier in der Schule ansetzen. In Fächern wie Politik muss man sich den großen, komplizierten Krisen der Welt sachte und sachlich annähern. Und durch eine richtige berufliche Bildung kann auch die individuelle Zukunftsunsicherheit behoben werden. Diese muss aber natürlich ansprechend sein. Trockene Vorträge der Bundesagentur für Arbeit bringen da definitiv nichts.
Peps: Die Schule ist ein wichtiger Ort für unsere Kinder und unsere Jugend. Schließlich verbringen sie dort einen Großteil ihrer Zeit. Sie kommen dort mit ihresgleichen zusammen, haben Kontakt mit Lehrer*innen. Sicher, Eltern und Geschwister haben einen großen Einfluss. Das Zuhause legt die Basis. Aber die Schule ist ein ebenso wichtiger Ort. Leider wird meines Erachtens diese Chance nicht genutzt. Man versucht, Inhalte zu vermitteln. Aber ich denke, mindestens genauso wichtig ist, den jungen Menschen dort Werte zu vermitteln und ihnen einen guten Umgang mit der Welt zu zeigen. Das findet aber nicht statt.
Mangel an Digitalisierung in der Schule wird kritisiert
In der Studie wurden die Teilnehmenden auch dazu befragt, in welchen Bereichen der Gesellschaft sie wo Handlungsbedarf sehen. Ein Ergebnis – aus Sicht der jungen Menschen – sind deutsche Schulen noch immer viel zu wenig digitalisiert.
Hendrik: Peps, sind dir in deinem Berufsleben vielleicht digitale Tools oder auch Lernmethoden eingefallen, die man ziemlich gut in die Schule übertragen könnte?
Peps: Ich war selbst einige Jahre in der Weiterbildung tätig. Dort durfte ich mich um die Betreuung einer Lernplattform kümmern und habe (teil-)digitale Lehrformate eingeführt. Aktuell studiere ich nochmal nebenberuflich an einer Fernuni. Da läuft fast alles digital, bis hin zu den Prüfungen. Ich denke, dass die Digitalisierung uns tolle Möglichkeiten bietet. Unterrichtsmaterial kann konserviert und zeitlich unabhängig aufgerufen werden. Das Angebot an die Lernenden kann viel individueller sein als im typischen analogen Klassenverband. Dennoch ist der soziale Faktor immens wichtig, weshalb ich von einer reinen Digitalisierung nichts halte. Aber ich denke, man sollte von beiden Seiten die jeweils positiven Elemente nutzen. Was ist jedoch zu den digitalen Komponenten in Sachen gelernt habe, ist, dass sie komplett von der Einstellung der Lehrenden zu diesem Thema abhängen. Ich habe Lehrkräfte erlebt, die überzeugt von den digitalen Möglichkeiten waren und diese genutzt haben. Und dann haben diese phantastisch funktioniert und den Lernenden einen echten Mehrwert gegeben. Und dann gab es Lehrende, die sicher waren, dass (teil-)digitaler Unterricht nicht funktionieren kann. Und das haben sie in ihrer Arbeit dann immer wieder aufs Neue bewiesen.
Hendrik: Aktuell gehe ich in einem Internat zur Schule, das dem Land Hessen gehört, und worauf man sich als motivierter Schüler bewerben muss. Dementsprechend haben wir, gerade was die technische Ausstattung angeht, sehr viel mehr Möglichkeiten als andere Schulen. Beispielsweise eine Arbeitsgruppe Film mit einer krassen Ausstattung, von Green Screen bis modernen Kameras und Mikrofonen. So etwas hätte ich mir an meiner alten Schule natürlich auch gewünscht. Ich denke aber, dass die Politik sehr wohl weiß, wie schlecht es um die Digitalisierung steht. Umso wichtiger ist es, dass Verbände und Schüler*innenvertretungen immer weiter auf diesem Thema beharren. International hinkt Deutschland da sehr deutlich nach, gerade gegenüber skandinavischen Ländern wie Dänemark und Finnland. Dort hat gerade das Thema Medienbildung einen viel höheren Stellenwert.
Populismus gewinnt deutlich an Erfolg – Jugend rutscht nach rechts
Wenn jetzt Bundestagswahl wäre, würden 22 % der 14 bis 29-Jährigen die AfD wählen. Ein Wert, den es in der Höhe noch nicht gab. Wir beide finden das erschreckend. Doch warum gewinnen populistische Lösungen, wie sie auch auf Social Media mit der jungen Generation geteilt werden, so an Bedeutung?
Hendrik: Gerade bei diesem Aspekt der Studie fällt mir auf, wie privilegiert ich selbst eigentlich bin. Im Internat bin ich umgeben von anderen politisch interessierten Menschen, die ihre Haltungen zum Leben entwickelt haben und sie durchaus auch in Diskussionen artikulieren können. Gleichzeitig werden hier auch sehr oft rechte Parolen entlarvt. Ich denke, an meiner alten Schule wird das durchaus anders sein. Zum Einen ist das Interesse an Politik grundsätzlich geringer, man hat weniger das Gefühl, dass einem zugehört wird. Daraus kann leicht eine Unzufriedenheit mit der Politik entstehen. Zum Anderen ist man, wenn man solche Unzufriedenheit verspürt, wiederum anfälliger für Populismus, für scheinbar einfache Lösungen komplexer Probleme. Wenn wir nicht wollen, dass rechte Parteien wie die AfD an noch mehr Einfluss gewinnen, müssen wir uns klar überlegen, wie wir die junge Generation besser erreichen können. Schon jetzt hat die AfD auf Social-Media-Plattformen wie TikTok teils zehnfache Aufrufzahlen wie andere Parteien. Ein Ort, an dem sich viele der Jugendlichen politisch informieren. Und eine Informationsquelle, die klassische Nachrichten immer mehr zu überholen droht.
Peps: Auch hier kann ich nur die Sicht des Vaters bieten. Mein Sohn ist politisch sehr interessiert und er informiert sich sehr gut. Er schwebt sicher nicht in der Gefahr, in den extremen rechten Flügel abzugleiten. Er hatte auch bereits zu Schulzeiten Freunde, die sich ebenso politisch informierten und interessierten. Aus seinem Umfeld ist mir nichts bekannt, dass jemand sich in diesem politischen Spektrum bewegen würde. Allerdings denke ich, dass in der Schule mehr getan werden könnte, um die jungen Menschen politisch zu bilden. Es ist erschreckend, dass sie sich über TikTok und andere sozialen Medien über Politik informieren. Es geht hier um fundierte Informationen und die benötigen einfach Tiefe und Ausführlichkeit, welche die sozialen Medien per se nicht bieten. Wie gesagt: Dort wäre die Schule gefragt.
- Alle Ergebnisse aus der Studie: https://www.rnd.de/politik/deutschlands-jugend-2024-psychische-probleme-ohnmacht-rechtsruck-TAO7B2CNTVEKRMYDWGTYZBUARQ.html ↩︎
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