Eine weitere Buchbesprechung | Julian Nida-Rümelin und Klaus Zierer: „Demokratie in die Köpfe. Warum sich unsere Demokratie in den Schulen entscheidet.“
Das Buch besitze ich bereits seit letztem Jahr. Doch da lag es zunächst und verstaubte. Aber nach dem – prognostizierten – Ergebnis der Europawahl, nach unserem Blogbeitrag zur Jugendstudie und Hendriks Beitrag im Vorfeld der Europawahl zu den Bildungszielen der Wahl war die Zeit reif, das Buch zur Hand zu nehmen.
Julian Nida-Rümelin und Klaus Zierer
Julian Nida-Rümelin lehrt Philosophie – Politik – Wirtschaft. Er setzt sich jedoch immer wieder mit der Bildungspolitik und damit mit Bildung auseinander. 2014 schrieb er so zum Beispiel das Buch „Der Akademisierungswahn. Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung.“ Somit war es wohl unvermeidlich, dass er sich mit dem Bereich auseinandersetzt, an dem Bildung und Demokratie aufeinanderstoßen. Unterstützung für dieses Buch erhielt er vom deutschen Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer, sodass man davon ausgehen kann, dass beide Aspekte – Bildung und Demokratie – gleichermaßen fundiert beleuchtet werden.
Und dies geschieht in diesem Buch auch. Wie man es von zwei Wissenschaftlern erwarten darf, definieren sie sowohl Demokratie als auch Bildung, begründen, warum aus ihrer Sicht beide zusammengehören, aufeinander einwirken und schließlich entwickeln sie in einem Fazit Ideen und Vorschläge, wie mit beiden umgegangen werden könnte, um beide Konzepte zum Erfolg zu führen.
Es wird nie offengelegt, welcher der beiden Autoren welchen Teil des Textes verfasst hat oder ob beide gleichermaßen den ganzen Text geschrieben haben. Das ganze Buch ist jedoch in einem durchgängigen Duktus geschrieben und es zerfällt nicht in stilistisch deutlich unterschiedliche Teile.
Es liest sich gut
Es liest sich gut, verfällt also nicht in eine elitäre Wissenschaftssprache, ohne sprachlich jedoch banal zu werden. Allerdings besitzt es Tiefgang, ist inhaltlich dicht und ich werde es sicher noch mindestens ein weiteres Mal lesen, um den Gedankengängen der Autoren noch genauer folgen zu können.
Sicher kann man in einigen Punkten anderer Meinung sein. Jedoch legen sie ihre Überlegungen nachvollziehbar dar und scheuen sich auch nicht, selbst anderer Meinung zu sein als große Denker wie John Rawls oder Jürgen Habermas. Aber so ist es in der Geisteswissenschaft: Man stellt eigene Überlegungen an, leitet her, begründet und stellt diese Ansichten dann zur Diskussion.
Insgesamt hat mich das Buch sehr angesprochen und vielfach zum tieferen Nachdenken angeregt. Der Untertitel wird aus meiner Sicht jedoch nicht eingelöst: „Warum sich unsere Zukunft in den Schulen entscheidet“. Beziehungsweise wird diese These gleich im ersten Kapitel begründet: Die Zukunft (unserer Demokratie) hängt davon ab, dass unsere Bevölkerung eine gut Bildung genießt. Und diese geschieht zum größten Teil in unseren Schulen. Politische, beziehungsweise demokratische Bildung stellt dabei nur einen Teil der nötigen Bildung dar. Von daher mag Titel und Untertitel ein wenig irreführend sein. Denn man sollte sicher nicht nach dem ersten Kapitel mit dem Lesen aufhören.
Bildung und Demokratie
Das erste Kapitel befasst sich also damit, was Bildung und Demokratie miteinander verbindet. Und bereits im Vorwort wird der Bogen dorthin geschlagen, denn schon John Dewey widmete diesem Zusammenspiel an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein Buch: „Democracy and Education“. Auch verweisen die Autoren darauf, dass in allen Bundesländern im Bildungsrecht direkt auf die Demokratie referenziert wird.
Schließlich führen sie Studien an, die belegen, dass Bildung und demokratisches Verständnis direkt miteinander zusammenhängen, beziehungsweise, dass mangelnde Bildung und politische Radikalisierung miteinander korrelieren. Die Autoren zeigen unsere aktuellen gesellschaftlichen Krisen auf: Wirtschaftlich schwierige Zeiten, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Energieabhängigkeit. Und sie zeigen die Krisen in der Bildung auf: Zunächst der PISA-Schock, dann die Bildungsdefizite, die durch Corona-Maßnahmen entstanden. Fasst man dies mit den zuvor dargelegten Erkenntnissen zusammen, ergibt dies „ein gefährliches Amalgam“.
Sie beleuchten das Feld der Medien und wie diese eingesetzt werden. Sie sehen die Sozialen Medien mit ihrer „Blasenbildung“ als kritisch, verteufeln sie jedoch nicht. Denn immerhin haben wir durch die heutigen Möglichkeiten ebenso die Möglichkeit, uns in nie da gewesener Weise zu informieren. Wenn wir dies denn möchten (und können).
Demokratie
Zierer und Nida Rümelin erklären uns im zweiten und dritten Kapitel, was sie unter Demokratie und was sie unter Bildung verstehen. Demokratie ist für sie vor allem die Trias aus Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit. Jedoch muss in Einzelfällen abgewogen werden, welches diese Konzepte möglicherweise den Vorrang vor den anderen hat, um zu einem gerechten Ergebnis zu gelangen.
Sie berücksichtigen dabei sowohl die individuelle, wie auch die kollektive Autonomie. Sie beleuchten ebenso, was aus ihrer Sicht Friedays for Future oder die Letzte Generation mit Demokratie zu tun haben, wie auch der Umgang von Politikern mit Medien, vor allem den Sozialen Medien. Dabei verfallen sie nicht in Polemik, sondern stellen neutral dar und begründen ihre Sicht.
Bildung
In Kapitel drei wagen sie sich an eine Definition von Bildung, etwas, das schon vielfach versucht wurde, sich im Laufe der Geschichte auch immer wieder verändert und wohl nie abgeschlossen wird. Aber diesen Anspruch erheben Nida-Rümelin und Zierer auch gar nicht. Für sie ist jedoch der Begriff der „Autorschaft“ des eigenen Lebens zentral und somit auch wieder der Bezug zur Demokratie, die nur existieren kann, wenn Bürger ein Demokratieverständnis besitzen und „in der Lage [sind], ihre Rechte auf Freiheit und Gleichheit einzulösen und im Sinne kollektiver Selbstbestimmung umzusetzen“.
Ideen für die Zukunft
Im letzten Kapitel machen sie den Blick auf, in eine mögliche Zukunft. Sie betonen dabei, dass ein Buch sicher nicht ausreicht, eine solche Zukunft Realität werden zu lassen. Aber dieses Buch kann sicher helfen, Verständnis zu schaffen und zeigen, dass eine positive Zukunft möglich ist. Und sie geben Anregungen dazu, wie diese erreicht werden könnte. Einige Ansätze dazu existieren bereits, wie sie anhand von Beschlüssen der Kultusministerkonferenz belegen. Demokratie kann gestärkt werden, wenn wir uns für Demokratiebildung entscheiden. Werteerziehung bildet das Fundament hierfür.
Empfehlung
Ich kann nur empfehlen, dieses Buch zu lesen. Es kann hier nicht in wenigen Sätzen wiedergegeben werden, dazu ist es zu gehaltvoll und nuanciert. Es präsentiert weder einfache Lösungen, noch malt es schwarz. Es beleuchtet differenziert eine Thema – oder auch zwei – das uns alle etwas angeht.
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